Kälte: Adaption und praktische Anwendung

Schritt für Schritt: Adaption an Kälte

Nach (Teil 1 und Teil 2) über Kälte und seine Zweischneidigkeit als wertvolles Werkzeug und schädlicher Stressor stellt sich die Frage, wie man ein so beeindruckendes Mittel klug und angepasst anwendet. Dabei muss es nicht direkt der Sprung in einen gefrorenen See sein und selbst kleine Schritte können zu tollen Ergebnissen führen. Anbei eine Liste an Möglichkeiten, um sich Schritt für Schritt an Kälte zu adaptieren. Wie beim Sport, kann man von seinem Körper nicht erwarten, sofort Leistungssport betreiben zu können.

Adaption? Dass ich nicht lache!

Schritt 1: Face dunking Reflex

Wer morgens aufwacht und sich im Spiegel betrachtet, blickt meist in recht verschlafene Augen. Mit mindestens einem Bein liegt man noch unter der Decke und jegliche Art sinnvoller Funktion ist in der Regel erst nach einem tiefen Blick in die Kaffeetasse möglich. Auch wenn nicht jeder Mensch ein Morgenmuffel ist, kann man sich an diesem Beispiel sehr gut vorstellen was passiert, wenn man genau diese Personen unter eine kalte Dusche stellt. Aufregung, die Person ist wach und würde höchstwahrscheinlich dem Übeltäter (oder der Dusche), den Hals umdrehen. Eine typische Stressreaktion also. Doch kalte Duschen sind häufig ein Fehler, den viele Menschen machen, wenn sie versuchen Kälte mit vorsichtigen Schritten in ihren Alltag einzubauen.

Klar ist, dass ein kalter Stimulus anregend wirkt und den Stoffwechsel, Neurotransmitter und anderen Signalstoffe von jeglicher Trägheit entstauben kann. Doch es muss nicht die kalte Dusche zur forcierten Adaption sein. Menschen besitzen etwas, das man als “face-dunking-Reflex“ bezeichnet [1,2].

The mammalian diving response is a remarkable behavior that overrides basic homeostatic reflexes. It is most studied in large aquatic mammals but is seen in all vertebrates. Pelagic mammals have developed several physiological adaptations to conserve intrinsic oxygen stores, but the apnea, bradycardia, and vasoconstriction is shared with those terrestrial and is neurally mediated. […]This complex adaptive mechanism is caused by simultaneous activation of the sympathetic and parasympathetic parts of the nervous system.

Kommt unser Gesicht in Berührung mit kaltem Wasser, treten durch Gesichtsnerven wie den Trigeminus, Facialis etc. sofortige und systemische Reaktionen in Kraft. So, als würde der Körper erwarten, gleich für unbestimmte Zeit unter Wasser keinen Sauerstoff zu bekommen, kommt es zur einer Regulation des Blutdrucks, einer besseren Verwertung des Sauerstoffs im Körper und auf Dauer zu einer thermoregulatorischen Adaption. Eine mit kaltem Wasser gefüllte Schüssel, in die man am Morgen mehrere Male für einige Sekunden sein Gesicht setzt, kann auf Dauer eine sehr gute Wirkung und eine erste Adaption zeigen. Die Effekte sind so direkt und effektiv, dass der Einsatz von Face-Dunking beispielsweise bei Kindern mit akuten Herzproblemen verwendet wird. Diese Art der Anwendung sorgt nicht (wie kalte Duschen) für eine Stressreaktion und pochende Herzen, sondern für eine recht zuverlässige Reduktion von Tachykardie [1]:

The study included ten patients between the ages of seven days and 15 years who were admitted to our hospital with supraventricular tachycardia in the previous year. Ice water was applied to their faces for five seconds immediately and all of them were digitalized. This procedure was utilized in 28 out of 36 SVT attacks, and was found to be effective in restoring sinus rhythm on 27 of 28 occasions (96%). Tachycardia recurred a total of 18 times in three of the ten patients. There was no recurrence in six patients. No response was noted in only one patient. Application of ice water to the face is an easy, safe, effective and repeatable procedure in the initial treatment of supraventricular tachycardia.

Erstaunlich, wie effektiv manche Methoden sein können, oder?

Schritt 2: Cooler Alltag

Es gibt einige Tricks, den Alltag kühler zu gestalten, ohne sich zu sehr zu belasten. Während ein Spaziergang mit etwas weniger Kleidung, weniger aktive Heizungen und ein kühles Schlafzimmer sicherlich möglich sind, kann die Art der Kleidung eine Menge auf unsere Empfindung von Stress und Kälte bewirken. Hände, Füße und unser Kopf sind die Stellen des Körpers, an denen wir am sensibelsten auf Kälte reagieren [4,5]. Will man also im Park bei kühlen Temperaturen laufen gehen, wären Handschuhe, warme Socken, Kompressionskleidung und eine Mütze die besten Möglichkeiten, sich vor der Kälte zu schützen, während das Weglassen der dicken Daunenjacke die nötige Frische ins Leben bringt. Bekannt ist auch, dass kalte Füße ein signifikanter Stressor sind und selbst den Schlaf in kühlen Zimmern zu einem Stress machen können [6]. Wenn wir Füße, Hände und Kopf warm halten, können wir weitaus besser mit einem kühlen Lüftchen umgehen und die Adaption fällt gleich viel leichter.

Schritt 3 (optional): Wechselduschen, kalt duschen

Erst nachdem die ersten beiden Schritte einigermaßen Einzug in unseren Alltag gefunden haben, macht es Sinn, vor allem über kalte Duschen als Werkzeug nachzudenken. Während Wechselduschen weltweit bekannt sind für ihre Effekte auf Durchblutung, Immunsystem und vieles mehr, ist das eiskalte prickeln des Wasserstrahls auf die Haut doch im Alleingang recht gewöhnungsbedürftig. Viele gewohnte Eisbader empfinden kalte Duschen immer noch unangenehm, verglichen mit dem kompletten Eintauchen in kalte Seen selbst bei vergleichbarer Temperatur. Das mag seltsam klingen und genau Antworten sind hier wohl noch nicht möglich, doch könnte der Stimulus sich dadurch unterscheiden, dass bei einem kompletten Eintauchen der gesamte Körper konstant den gleichen Stimulus erfährt, während ein kaltes Duschen mit einer Brause punktuell kalte Impulse sendet. Manche Experten im Bereich der kalten Thermogenes empfehlen sogar, kalte Duschen als Adaption eher komplett auszulassen und direkt zu Schritt 4 zu gehen.

Schritt 4: Ab ins kalte Nass

Ist man bereits durch die anderen Schritte wetterfest geworden, kann man nun langsam damit beginnen, ein kühles bis kaltes Bad zu nehmen. Hilfreich ist auch hier eine Mütze oder Handschuhe zu tragen, Kompressionskleidung zu verwenden und gegebenenfalls die Füße aus der Badewanne draußen zu lassen (was recht amüsant für Zuschauer aussehen mag). Es ist eine gute Idee, den Körper bis zum Kopf einzutauchen. Steht uns das Wasser bis zum Kopf, werden wir stärker dazu angeregt, Energie zu verbrennen und uns warm zu halten. Wichtig ist und bleibt bei jedem Schritt auf die körpereigene Reaktion zu achten. Fühlt man sich schlecht, zittert man stark, oder merkt auf irgendeine andere Art und Weise, dass man dem Stressor im Moment nicht gewachsen ist, sollte man dem Kältetraining ein frühes Ende setzen. Kälte wirkt nur wirklich gut, wenn sie uns nicht zu stark belastet. Am Ende dieses Artikels werden ein paar weitere allgemeine Tipps gegeben, die unterstützend wirken können.

Sind kalte Duschen ein guter Start zur Adaption?
Ab ins kalte Nass!

Schritt 5: Dauer und Temperatur

Härter, weiter, länger, kälter. Nicht immer ist eine höhere Belastung sinnvoll. Das sollte inzwischen beim Thema Kälte deutlich geworden sein. Die Dauer eines Eisbades darf variieren und wenige Minuten bis hin zu fast einer Stunde, oder sogar länger, sind in Ordnung und wurden in Studien untersucht. Die Orientierung bleibt die eigene Verfassung. Wenn es um Temperaturen geht, muss man jedoch nicht immer weiter Richtung Nullpunkt gehen. Erinnern wir uns an (Teil 1). Während die Effekte von Kälte bei etwa 20°C noch moderat ausfielen, zeigten 14°C deutliche Effekte. Dementsprechend kann man in etwa diesen Wert an Wassertemperatur anzielen und es dabei belassen. Damit wäre es geschafft! Kälte kann uns nicht mehr das Fürchten lehren und wir sind zu glühenden Schmelzofen geworden, die im Winter anfangen zu leuchten, würde man uns mit einer Infrarotkamera betrachten. Ein paar allgemeine Tipps noch zum Ende:

  • Nach einem Kältebad ist es immer sinnvoll, sich zu bewegen. Ein paar leichte Kniebeugen, Liegestütze und andere Bewegungen helfen dabei, sich wieder aufzuwärmen.
  • Ein heißer Tee, ein Kaminfeuer oder ein warmes Zimmer helfen, sich nach der Kälte aufzuwärmen und dem Körper ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln.
  • Die Verwendung einer Infrarotlampe beim Eisbaden, oder das Schwimmen in kaltem Wasser bei Sonnenschein besitzt einige synergistische Effekte.
  • Bevor man in die Kälte springt, sollte man seinen Kopf beruhigen. Wer die ganze Zeit sich selber denkt, wie kalt und schrecklich alles gleich sein wird, wird überrascht sein, wie kalt und schrecklich gleich alles sein wird. Unser Kopf ist sehr gut dazu in der Lage, Stressoren zu verstärken und Erwartungen zu erfüllen.
  • Ein Sprung ins kalte Nass mit Freunden kann ein bibberndes Erlebnis erstaunlich anregend machen!
  • Einige Male ruhig atmen, bevor und während man in die Kälte geht, beruhigt Kopf und Körper

Viel Spaß, Erfolg und Gesundheit beim Kältebaden! Sich aus der Komfortzone zu bewegen ist gesund, sich zu schwer zu belasten kann jedoch krank machen. Kälte hat viel mit anderen Arten des Trainings gemeinsam.

Quellenangabe:

  1. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3768097/
  2. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3590872/
  3. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/7732603
  4. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2900236/
  5. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4965003/
  6. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3490360/