Omega-3-Fettsäuren und ADHS: Was definiert Verhalten? (Teil 2)
Teil 1 schon gelesen?
Menschen empfinden Ruhe, Sorgen, Zorn und Freude. Emotionen sind der Wissenschaft noch ein Rätsel und auch wenn wir uns inzwischen damit abgefunden haben, dass unser Verhalten einer biochemischen Reaktion zugrunde liegen müsste, wissen wir nur sehr wenig über die Natur der Gefühle. Kinder mit ADHS (Aumerksamkeits Defizit Hyperaktivitäts Syndrom) sind ein starkes Beispiel dafür. Die Lebensqualität wird eingeschränkt durch Wellen an Impulsivität, Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität/Unruhe. Während wir Medikamente verwenden, um Emotionen für einige Stunden zu unterdrücken, haben wir kaum eine Möglichkeit die Erkrankung selbst zu bekämpfen [1]. Im Fokus liegen das soziale Umfeld und Training der Kognition.
Während man kaum mehr behaupten kann, dass der Mensch nur “kopfgesteuert“ ist, werden dennoch ein Großteil unserer Chemikalien im Gehirn produziert oder verwendet, als Antwort auf unser Umfeld und dessen Veränderungen. ADHS ist vorstellbar wie eine dysfunktionale Reaktionsleitung, vergleichbar mit einer flimmernden Lampe.
ADHS ist in der heutigen Zeit nicht einfach korrekt zu diagnostizieren. Besonders zeigt es sich bei Kindern, kann sich jedoch bis ins Erwachsenenalter weiter in Form einer starken inneren Unruhe äußern. In unserer modernen Welt sind Symptome wie Aggressivität, Stimmungsschwankungen, Suchtverhalten, Angstzustände und viele weitere Indizien erstaunlicherweise fast schon normal. Während das natürlich viel Raum zur Diskussion lässt, weiß man inzwischen, dass Kinder mit ADHS anders “ticken“.
Zentrale Neurotransmitter wie Dopamin können nicht mehr richtig übertragen werden und es kommt zu zellinternen und organinternen Kommunikationsstörungen. Wenn auch nur Studien mit Mäusen, wurde doch deutlich gezeigt, dass ein Omega-3 Mangelzustand die dopaminergen Übertragungen in vielen Bereichen des Gehirns signifikant stören kann [2].
“n3 deficient animals appear to have hypofunctional dopaminergic systems at the mesocortical level and hyperfunctional dopaminergic systems at the mesolimbic level among other abnormalities. These n3 deficient animals demonstrate impairments in working memory and conditioned learning tasks consistent with animal models of ADHD.“
Sind die Signalleitungen gestört, entsteht Chaos [3]. Ein wenig ähnelt ADHS in diesem Sinne auch Erkrankungen wie Multipler Sklerose oder Autismus. Das ist wichtig zu verstehen, um ADHS im Kontext zu sehen. Es ist bekannt, dass ein soziales Umfeld einen starken Effekt auf die Krankheit hat – und die Krankheit lindern oder verschlimmern kann. Daher sollte auch hier nicht zu sehr auf einen einzigen Wirkstoff geachtet werden, sondern das gesamte Bild betrachtet werden. Manche Faktoren sind jedoch einfacher zu beheben und können deutliche Verbesserungen für das Kind und sein Umfeld bewirken. Kommen wir deshalb auf Omega-3-Fettsäuren und ihre Rolle zu sprechen.
Omega 3 und ADHS: Fehlende Wirkung, Nebenwirkungen – und der Sinn dahinter
Wie so oft sind Studien zu der Wirkung von Omega-3-Fettsäuren recht unterschiedlich in ihrer Aussage. Während bei manchen Kindern signifikante Besserungen erzielt werden konnten [4-8], waren sich andere Untersuchungen nicht so sicher mit ihren Funden [7,9]. Beobachtet wurde jedoch immer, dass Kinder mit ADHS eine
- reduzierte Menge an Omega 3 besitzen [8]
- das Verhältnis von Omega 6 zu Omega 3 gestört war (im Verhältnis zu viel Omega 6)
Das ist wichtig, da Fettsäuren eine tragende Funktion bei der Integrität von Membranen und Signalübertragungen besitzen. Beide mehrfach ungesättigten Fettsäuren (PUFA) sind wichtig für die gesunde neuronale Entwicklung [10]. Beide Fettsäure sind essentiell – können also nicht durch unseren Körper selbst produziert werden – und müssen daher mit der Nahrung aufgenommen werden. Während der Entwicklung, wird das Kind durch die Mutter versorgt . Während es heutzutage leicht ist, unseren Bedarf an Omega-6 zu decken, werden gute Quellen an Omega-3 immer seltener.
“An important limitation to existing trials is that the effects of omega-3 and omega-6 are usually analyzed separately. This is problematic because the ratio of n6/n3 in blood may be more important than the absolute levels. Biological research supports this hypothesis, demonstrating that high blood levels of omega-6 relative to omega-3 fatty acids leads to an overproduction of pro-inflammatory cytokines (Simopoulos, 2011)[11].[…] It is possible that omega-3 supplementation studies have failed to consistently yield positive results because none of the studies have considered the impact of omega-6 fatty acid consumption, or the resultant blood ratios.“ [12]
Was häufig in Studien ebenfalls nicht beachtet wird, ist die Art und Weise der Messung und Unterschiede der verschiedenen Laboratorien. Während Omega-3 optimaler Weise durch Blut getestet werden sollte [12], können – nach Rücksprache mit Experten von Omegametrix – selbst die Dicke der Reagenzgläser aufgrund von Temperaturunterschieden einen Effekt auf das Ergebnis haben. Aktuell gibt es neben dem validierten HS-Omega-3 Index® von Prof. von Schacky/Labor Omegametrix keine in der wissenschaftlich evaluierten Messmethoden im deutschsprachigen Raum. Auch sind Kinder unterschiedlich in ihrer Körperkomposition. Nicht jedes Kind braucht die gleiche Menge an Omega-3-Fettsäuren, um in einem gesunden Bereich zu sein. Überdosen an Omega-3-Fettsäuren können genauso schaden, wie ein Mangel [13].
Sieht man sich Studien zum Verhältnis von Omega-6 zu Omega-3-Fettsäuren bei Kindern mit ADHS an, so wird das Bild schon etwas deutlicher [14-17]. Entzündliche Prozesse spielen eine starke Rolle bei einer Erkrankung wie ADHS [18]. Ein hohes Verhältnis von Omega 6 zu Omega 3 steht in Verbindung mit einer hohen Menge an entzündliche Zytokinen (Zeichen für entzündliche Prozesse im Körper) [11]. Beide Fettsäuren konkurrieren um die gleichen Enzyme (FADS1/FADS2), arbeiten zusammen und gleichzeitig auch gegeneinander in ihren Wirkungen [19]. Eine gesunde Balance ist entscheidend. Zwei Studien supplementierten Kinder (Alter etwa 8-18 Jahre) mit einer Omega 3/Omega 6 Quelle und versuchten in ihren Messungen pro Teilnehmer eine Ratio von etwa 1-1.5 zu erhalten (Omega 6:Omega 3). Beide Studien zeigten die starken Korrelationen zwischen einer guten Balance der Fettsäuren und einer Besserung der Krankheitssymptome [20,21].
Unsere heutigen Ernährungsgewohnheiten kann man vermutlich kaum noch als artgerecht bezeichnen und Studien weisen sogar darauf hin [22], dass eine normale “western diet“ ein höheres Risiko darstellt um an ADHS zu erkranken. Wie gut diese Beobachtung sein mag, ist schwer zu sagen. Korrelation bedeutet nicht automatisch Kausalität. Seitdem jedoch mehr und mehr bekannt wird, wie stark uns unsere Ernährung beeinflussen kann (man denke unter anderem an den Darm), ist solch eine Verbindung gut vorstellbar.
Omega 3 und ADHS: Zusammenfassung
Jeder Mensch, jedes Kind ist unterschiedlich. Einen Heranwachsenden mit einer geschätzten Menge an Omega-3-Fettsäuren zu versorgen, kann in einer schlechten Investition enden. Wichtig ist es, den Bedarf zu wissen und entsprechend zu handeln. Eine Balance zwischen Omega 6 und Omega 3 ist genauso wichtig, wie ein stabiles Umfeld. Omega-3, seine Messung und die richtige Versorgung in unserer heutigen, unruhigen Welt, ist ein einfacher und effektiver Weg, um Kindern mit ADHS einen besseren Einstieg in das Leben zu ermöglichen. Ein Wundermittel ist es jedoch nicht. Krankheiten wie ADHS entstehen unter anderem durch das Umfeld und sind dementsprechend maßgeblich durch das Umfeld auch wieder zu beheben. Soziale Interaktionen, Ausgleich zu Stress, richtiger Umgang mit Licht, eine gesunde Entwicklung im Mutterbauch, ein gesundes Maß an Bewegung – wir können viel für unsere Kinder tun. Wir müssen es nur machen.
Quellenangabe:
1. Kendall, Taylor, Perez, Taylor & Group. Diagnosis and management of attention-deficit/hyperactivity disorder in children, young people, and adults: summary of NICE guidance. BMJ (Clinical research ed.) a1239 (2008). 337,
2. Transler, Mitchell & Eilander. Could Polyunsaturated Fatty Acids Deficiency Explain Some Dysfunctions Found in ADHD? Hypotheses From Animal Research. Journal of Attention Disorders 20–28 (2013). 17,
3. AMH, O. et al. Deviant white matter structure in adults with attention-deficit/hyperactivity disorder points to aberrant myelination and affects neuropsychological performance. Progress in Neuro-Psychopharmacology and Biological Psychiatry 14–22 (2015). 63,
4. Bloch & Qawasmi. Omega-3 fatty acid supplementation for the treatment of children with attention-deficit/hyperactivity disorder symptomatology: systematic review and meta-analysis. Journal of the American Academy of Child & Adolescent Psychiatry (2011). 50,
5. Bloch & Hannestad. Omega-3 fatty acids for the treatment of depression: systematic review and meta-analysis. Molecular Psychiatry 1272–1282 (2011). 17,
6. Bloch & Qawasmi. Omega-3 Fatty Acid Supplementation for the Treatment of Children With Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder Symptomatology: Systematic Review and Meta-Analysis. Journal of the American Academy of Child & Adolescent Psychiatry 991–1000 (2011). 50,
7. Bélanger et al. Omega-3 fatty acid treatment of children with attention-deficit hyperactivity disorder: A randomized, double-blind, placebo-controlled study. Paediatrics & child health 89–98 (2009). 14,
8. Hawkey & Nigg. Omega−3 fatty acid and ADHD: Blood level analysis and meta-analytic extension of supplementation trials. Clinical Psychology Review 496–505 (2014). 34,
9. Gillies, Sinn, Lad, Leach & Ross. Polyunsaturated fatty acids (PUFA) for attention deficit hyperactivity disorder (ADHD) in children and adolescents. The Cochrane Library CD007986 (2012). 7,
10. Zeman, Jirak, Vecka, Raboch & Zak. N-3 polyunsaturated fatty acids in psychiatric diseases: mechanisms and clinical data. Neuro endocrinology letters 736–48 (2012). 33,
11. Simopoulos. Evolutionary Aspects of Diet: The Omega-6/Omega-3 Ratio and the Brain. Molecular Neurobiology 203–215 (2011). 44,
12. LaChance, McKenzie, Taylor & Vigod. Omega-6 to Omega-3 Fatty Acid Ratio in Patients with ADHD: A Meta-Analysis. Journal of the Canadian Academy of Child and Adolescent Psychiatry = Journal de l’Académie canadienne de psychiatrie de l’enfant et de l’adolescent 87–96 (2016). 25,
13. Allard, Kurian, Aghdassi, Muggli & Royall. Lipid peroxidation during n−3 fatty acid and vitamin E supplementation in humans. Lipids 535–541 (1997). 32,
14. Antalis et al. Omega-3 fatty acid status in attention-deficit/hyperactivity disorder. Prostaglandins, Leukotrienes and Essential Fatty Acids 299–308 (2006). 75,
15. Chen, Hsu, Hsu, Hwang & Yang. Dietary patterns and blood fatty acid composition in children with attention-deficit hyperactivity disorder in Taiwan. The Journal of Nutritional Biochemistry 467–472 (2004). 15,
16. Colter, Cutler & Meckling. Fatty acid status and behavioural symptoms of Attention Deficit Hyperactivity Disorder in adolescents: A case-control study. Nutrition Journal 1–11 (2008). 7,
17. Stevens et al. Essential fatty acid metabolism in boys with attention-deficit hyperactivity disorder. The American journal of clinical nutrition 761–8 (1995). 62,
18. Donev & Thome. Inflammation: good or bad for ADHD? ADHD Attention Deficit and Hyperactivity Disorders 257–266 (2010). 2,
19. Dumm & Brenner. Oxidative desaturation of α-linolenic, linoleic, and stearic acids by human liver microsomes. Lipids 315–317 (1975). 10,
20. Johnson et al. Fatty acids in ADHD: plasma profiles in a placebo-controlled study of Omega 3/6 fatty acids in children and adolescents. ADHD Attention Deficit and Hyperactivity Disorders 199–204 (2012). 4,
21. Sorgi, P., Hallowell, E., Hutchins, H. & Sears, B. Effects of an open-label pilot study with high-dose EPA/DHA concentrates on plasma phospholipids and behavior in children with attention deficit hyperactivity disorder. 1–8 (2007). 6,
22. Howard et al. ADHD Is Associated With a ‘Western’ Dietary Pattern in Adolescents. Journal of Attention Disorders 403–411 (2011). 15,