Essentielle und Nicht-Essentielle Aminosäuren: Eine andere Sichtweise – Teil 2
Das Wort “semiessentiell“ ist eigentlich recht amüsant. So, als würde man ohne etwas nicht wollen, aber eigentlich doch nicht so recht wissen, ob man es denn nun wirklich braucht. An sich ist es jedoch eine recht passende Bezeichnung für bestimmte Aminosäuren. Manche unter ihnen werden wichtig – also essentiell – wenn wir beispielsweise unter Stress oder hohen körperlichen Belastungen bzw. Sport stehen, beziehungsweise auch wenn eine emotionale Last oder eine Erkrankung auf unseren Schultern lastet. Es geht also sozusagen um bedingt wichtige Aminosäuren, die unter Umständen und mit etwas Kontext dem Körper auf eine positive Art und Weise zur Seite stehen können. Als Nahrungsergänzungsmittel könnten sie also durchaus wichtig werden, wenn um uns herum mal wieder Deadlines lauern, wir körperlich viel von uns verlangen oder das Wetter draußen kalt, windig, nass und doof ist. Prolin, Glutamin und Tyrosin sind dabei 3 Aminosäuren, die unter Umständen von Mehrwert sein können. Doch – und das ist ein weiterer Aspekt von semiessentiellen Aminosäuren – sind diese Eiweißbestandteile nicht vollkommen unbedenklich und tragen ein wenig Kontext mit sich, den man verstehen sollte.
Situationsabhängig positive (semiessentielle) Aminosäuren
Prolin: Funktion und Wirkung
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Prolin hat fast seinen Platz unter den essentiellen Aminosäuren verdient. Während es vom Körper dafür verwendet wird, um die Integrität von festen Strukturen im Körper wie Knochen, Sehnen und Bändern aufrecht zu halten, spielt es eine faszinierende Rolle unter oxidativer Belastung. Steht ein Organismus unter Stress, werden oft Reserven auf die Probe gestellt und abhängig von unserer Fähigkeit zu Adaption und Leistung, kommen wir so mit einem Stressor zurecht oder nicht. Beobachtet wurde bei Pflanzen, dass Prolin insbesondere unter Stress synthetisiert wurde und den grünen Lebewesen als Chelat, Antioxidans und Signalmolekül diente [1]. Bei Tieren und Menschen scheint Prolin etwas anders zu wirken. In den Zellen wurde durch Prolin die oxidative Belastung nicht reduziert, sondern eher auf eine gewisse Art und Weise “geshifted“. In Studien wurde beobachtet, dass Prolin in Zellen die Entstehung von Hydrogenperoxid-Radikalen (H2O2) zu reduzieren schien, währen die Präsenz von Superoxid-Anionen anstieg [2,3]. Während damit auf der einen Seite Lipidperoxidation an Zellwänden besser unter Kontrolle gebracht werden konnte und Zellen länger unter Belastung durchhalten konnten, sorgte diese Verlagerung von Radikalen in höherer Konzentration ebenso zu Zellzerstörung durch Apoptose – einer Art kontrollierten Zelltod [2]. Während ein solcher Mechanismus unter physiologischen Situationen durchaus von Nutzen sein kann und Prolin damit vor allem unter intensiver Belastung wichtig wird, möchte man diesen Nährstoff daher nicht regelmäßig, sondern eher situationsabhängig verwenden. Das jedoch ist eher ein Merkmal einer guten semi-essentiellen Aminosäure. Aus diesem Grund ist Prolin eine interessante Aminosäure mit Kontext.
Glutamin: Funktion und Wirkung
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Glutamin ist eine recht weit verbreitete Aminosäure in unserem Körper. Etwa 20% der Aminosäuren in unserem Blutplasma sind Glutamin. In Muskelgewebe trägt Glutamin dazu bei, dass Wasser in die Zellen geschleust wird, was in der Regel aufbauende (anabole) Prozesse stimuliert. Damit kommt direkt der Gedanke, dass Glutamin auf der einen Seite relativ ungefährlich sein müsste und dass sie gleichzeitig eine recht wichtige Funktion für uns zu haben scheint. Beides stimmt, hat jedoch seinen Kontext.
Während bei Patienten mit schweren Verbrennungen und anderen körperlichen Traumata konstant ein niedriger Glutamin-Spiegel gefunden wurde, sorgte meist eine Verabreichung einer Glutamin-Lösung zu einer Verschlimmerung des Patientenzustandes [1]. Ein möglicher Grund dabei ist die Verwendung des Körpers von Glutamin als Basis für die Produktion von Glutamat – einem Neurotransmitter für zelluläre Stimulierung. Bleiben wir bei dem obigen Beispiel, wird schnell klar, dass Menschen mit schweren Verletzungen vor kurzem einen hohen Verbrauch an Glutamin “durchgemacht“ haben. Sie jedoch im Anschluss durch eine Glutamin-Infusion erneut auf die Neurotransmitter-Palme zu bringen wäre weniger hilfreich. In einigen Studien wurde inzwischen der “exzitotoxische“ Einfluss von Glutamat auf Zellen dargestellt [2]. Interessant dabei ist, dass aus Glutamin ebenfalls GABA – ein entspannender Neurotransmitter – gebildet werden kann [3]. Als Ausgangsstoff für neuronale An- oder Entspannung und vieles mehr (Glutamat ist ein Ausgangsstoff für die Neubildung von Glutathion) ist damit Glutamin absolut relevant. Der Grund jedoch, warum Glutamin in dieser Serie nicht als essentiell markiert wird ist schnell erklärt. Der Körper kann recht leicht aus Ammonium und Glutamat selber Glutamin herstellen. Außerdem möchte man nicht unbedingt, wie bereits beschrieben, dem Körper ständig eine hohe Dosis an Glutamin verabreichen. Einige positive Effekte auf die Darmwand und seine Stabilität wurden ebenfalls beobachtet. Warum das jedoch leicht zu verstehen ist und warum die Verwendung von Glutamin bei Darmbeschwerden stets mit etwas zusätzlicher Glukose einhergehen sollte, wird im Artikel zu Glutamin genauer erklärt.
Tyrosin: Funktion und Wirkung
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Tyrosin ist bei der Produktion von Dopamin der Stoff, der aus Phenylalanin produziert wird. Da Phenylalanin durch die Nahrung aufgenommen werden kann, wird Tyrosin als nicht-essentielle Aminosäure bezeichnet. So wie Phenylalanin hat Tyrosin einen Effekt auf unseren Dopamin Spiegel und findet damit möglicherweise eine potentielle Verwendung zur Behandlung von Erkrankungen mit Neurotransmitter-Imbalancen. Im Gegensatz zu Phenylalanin kann Tyrosin auch bei Patienten mit Phenylketonurie verwendet werden [1]. So wie Phenylalanin kann Tyrosin auch vom Körper für die Produktion von Adrenalin oder Noradrenalin verwendet werden. Der belebende Effekt dieser aromatischen Aminosäure wird dabei primär durch Sonnenlicht kontrolliert und dieser Zusammenhang scheint unter anderem auch darüber zu bestimmen, ob wir eher Adrenalin oder Dopamin aus ihr produzieren [2]. Beobachtet wurde, dass der Einfluss von unterschiedlichen Licht-Frequenzen offensichtlich beeinflussen konnte, wie unser Körper das erhaltene Tyrosin umwandelt. Kontext spielt hier also eine Rolle und niemand möchte durch ein dopaminerges Mittel Aggressivität und Unruhe erhalten – sondern Tatendrang und kognitive Leistungsfähigkeit [3]. Aus diesem Grund sind Supplemente mit Tyrosin besser am Morgen oder frühen Mittag zu sich zu nehmen. Stets sollte man natürlich dabei im Hinterkopf behalten, dass jedes Supplement eine Ergänzung darstellt und selten oder gar nicht dafür geeignet ist, körperliche Probleme ursächlich zu bekämpfen.
Teil 3: Weniger relevante, potentiell negative Aminosäuren
Tatsächlich gibt es Aminosäuren, die nachgewiesenermaßen unsere Lebenserwartung und Lebensqualität signifikant negativ beeinflussen können. Der Witz daran ist, dass einige unter ihnen derzeit offiziell zu den “essentiellen“ Aminosäuren gehören. Vielleicht will unser Körper aus gutem Grund diese Aminosäuren nicht selber herstellen? Genau hier wird klar, warum die eigentliche Bezeichnung “essentiell“ irreführend sein kann. Um welche Aminosäuren es dabei geht und wie sie wirken ist in Teil 3 dieser Serie zu finden.
Quellenangaben: Prolin
- https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3548871/
- https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2268104/
- https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19446917
Quellenangaben: Glutamin
- https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23362887
- https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4362409/
- https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK27979/
Quellenangaben: Tyrosin
- https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20687067
- https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/7093207
- https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0022395615002472