Darm-Dreieck: Mikrobiom und circadiane Rhythmik

Auf einen Blick

  • Circadiane Rhythmik ist in den letzten Jahren immer interessanter für die Forschung geworden
  • In Bezug auf das Mikrobiom entsteht ein faszinierendes Dreieck aus Zeitgebern, Immunsystem und unseren Darmbakterien
  • Die Gabe von Bakterien oder Toxinen zu unterschiedlichen Zeitpunkten sorgten für unterschiedliche immunologische Funktionen
  • Eine Deaktivierung von bestimmten Genen in Mäusen, assoziiert mit Zeitgebern, veränderten die Ergebnisse weiter. Verbindungen zu allen drei Eckpfeilern konnten bestätigt werden
  • Ein gutes Beispiel für eine Dysfunktion dieser Triage sind Jetlags. Umso mehr scheint es wichtig zu sein, nach einem langen Flug sich an sein neues Umfeld inklusive Tageszeit zu gewöhnen
  • Solche Ergebnisse geben Hinweise unter anderen auf möglicherweise negative und positive Effekte späten Essens und anderen Zeitpunkte der Nahrungsaufnahme
  • Während diese Ergebnisse therapeutische Ansätze ermöglichen, sollte man beachten, dass neben Licht, Temperatur und Nahrungsaufnahme noch andere Faktoren unseren Darm sehr stark beeinflussen können
Zeit für den Darm
Darm-Dreieck

Wie unser Immunsystem, das Mikrobiom und unser täglicher Lebensrhythmus sich gegenseitig beeinflussen

Seitdem Leben auf diesem Planeten existiert, diente die Sonne als Lichtquelle und treibende Kraft für Entwicklung und Existenz. Nicht verwunderlich also, dass insbesondere in den letzten Jahren Themen wie unser Schlaf-Wach-Rhythmus bzw. circadiane Rhythmik mehr und mehr in den Vordergrund gelangt sind. Die Frage kam schnell auf, ob auch unsere Darm-Mitbewohner einem täglichen Rhythmus folgen hinsichtlich Aktivität, Produktion von Nährstoffen und Interaktionen mit unserem Körper. Seit den letzten Jahren wurde daher einiges an Licht in unseren Darm geworfen und tatsächlich wurden mehrere sehr spannende Entdeckungen gemacht.

Eigentlich ist das Thema nicht neu. Schon die alte traditionelle chinesische Medizin hatte bereits Organe mit bestimmten Tageszeiten verbunden. Leber, Herz, Lunge und alle anderen Systeme scheinen demnach zu bestimmten Zeitpunkten am Tag besonders aktiv zu sein. Wurde ein Mensch um etwa 3 Uhr morgens wach, wurde es mit der Leber in Verbindung gebracht. Moderne Forschung verlässt sich neben solchen Beobachtungen jedoch vor allem auf kompliziert klingende Genexpressionen wie BMAL, CLOCK, REV-ERBα etc. Inzwischen sind intestinale Dysbiosen und circadiane Störungen bekannt dafür, verantwortlich für vergleichbare Erkrankungen zu sein. Übergewicht, Reizdarm und Anzeichen eines metabolischen Syndroms gehören dabei ebenso zu dieser Liste, wie immunologische Dysfunktionen [1]. Durch die Beeinflussung von Zeitgebern wie Licht, werden diesen Gensequenzen stimuliert und aktivieren durch Oszillation (Schwingung) bestimmte Prozesse in unserem Körper. Studien zufolge sind etwa 10% aller Genaktivierungen abhängig von Zeitgebern [2]. Ein komplexes Thema, das zeigt, wie sehr Epigenetik und andere heiß diskutierte Themen durch die sogenannte Chronobiologie beeinflusst werden.

Unser Mikrobiom, unser Immunsystem und unser circadianer Rhythmus scheinen in einem faszinierenden Zusammenspiel tagtäglich Nährstoffe zu produzieren, entzündliche Prozesse zu regulieren und dadurch Krankheit und Gesundheit entweder zu festigen oder zu reduzieren. Bakterien in unserem Darm sind unter anderem “gefürchtet“ durch ihre Fähigkeit, Endotoxine wie Lipopolysaccharide (LPS) zu produzieren. Während ein Eindringen dieser schädlichen Stoffwechselprodukte in unseren Blutkreislauf verbunden ist mit heftigen entzündlichen und immunologischen Reaktionen und auch ein Übermaß davon im Darm zu einer Vielzahl an Krankheitssymptomen führen kann, legen Studien nahe, dass eine gewisse Menge dieser vermeintlichen Feinde wichtig sind für eine ausreichende Stimulierung des Immunsystems und einer damit verbundenen Aktivierung von beispielsweise Toll-ähnlichen-Rezeptoren (TLR) [3,4]. Beides – eine erhöhte Aktivität von LPS (Lipopolysaccharide) und eine verstärkte Aktivität von TLR wird stark durch Zeitgeber beeinflusst und reguliert gleichzeitig die Aktivierung bestimmter Genexpressionen. Wie bei einem Feedback-Loop, der entzündliche Prozesse, immunologische Regulation, Energieproduktion und vieles mehr wie in einem Orchester koordiniert und aufeinander abstimmt. Anders gesagt kann man sich einen guten circadianen Rhythmus vorstellen wie den Taktgeber zwischen Immunsystem, Bakterien und allen körpereigenen Systemen, der für Ordnung sorgt, während er selbst durch jegliche interne und externe Reize beeinflusst wird und entsprechend reagiert (siehe Abbildung).

Jetlag ist ein bekanntes Phänomen von Flugreisen. Inzwischen konnte die Forschung durch viele Untersuchungen zeigen, wie Verschiebungen des Tagesrhythmus – Schichtarbeit mit eingeschlossen – dazu in der Lage sind, im Darm für Unordnung zu sorgen [5,6]. Bei Arbeiten mit Mäusen konnte gezeigt werden, dass ein tägliches Durcheinander des Tag-Nacht-Rhythmus dazu führte, dass die Darmwand durchlässiger wurde [1]. Auf der anderen Seite, sorgte die Verwendung von Antibiotika durch eine Zerstörung unserer mikrobiellen Besiedelung für verringerte Aktivität/Amplitude von “Zeit-Genen“ [4].

Given the broad influence of circadian rhythms on GI functions, it follows that the composition and function of the gut microbiome would also display diurnal variations and that circadian disruptions, such as jet lag, would induce dysbiosis in mice and humans (7). Intriguingly, the gut microbiome also influences intestinal circadian rhythms. Antibiotic-induced depletion of gut microbiota results in lower amplitude circadian rhythms in mouse enterocytes (9). Moreover, the abundance, composition, and function of gut microbiota are dramatically altered in circadian arrhythmic Per1−/−;Per2−/− double knockout mice (7), further indicating a bi-directional relationship between circadian rhythms and the gut microbiome.

Ebenfalls wurde beobachtet, dass die Gabe von Salmonellen während der eigentlichen Ruhephase bei Mäusen (nocturne Lebewesen, daher am Tag) zu einer aggressiveren Immunreaktion führten und die Salmonellen sich leichter ausbreiten konnten. Mäuse, die eine Mutation im Clock-Gen besaßen, konnten zu keiner Zeit eine robuste Immunantwort mit notwendigen entzündlichen Reaktionen gegen injizierte LPS aufbauen [7,8]. Zwar sind Menschen nicht Mäuse, doch zeigen solche Versuche, wie sehr Lebewesen im Generellen durch tägliche Unordnung beeinflussbar sind. Auch zeigten Studien, dass die ungestörte Ausschüttung von Melatonin am Abend sowohl die Leber, als auch die Darmschleimhaut unterstützt [9] Selbst Pilz-Parasiten bei Pflanzen sind inzwischen bekannt dafür, den circadianen Rhythmus ihrer Wirtspflanze zu stören, um sich dadurch besser ausbreiten zu können [10].

Perfektes Beispiel: Jetlag

Kritische Betrachtung:

Während bereits alte Heilkunde Organuhren und Rhythmik als Säulen der Gesundheit ansahen, zeigt modernste Forschung mit fortschreitender Datenlage immer deutlicher, wie sehr unser Körper als ein gesamtes System miteinander interagiert. Ein möglicherweise praktischer Ansatz wäre der Gedanke, am besten während der hellen Stunden des Tages zu essen. Insbesondere die Stimulierung durch Licht hat weitreichende Effekt auf unser Immunsystem und kann dabei helfen, Nahrung nicht nur besser zu verwerten, sondern auch besser zu vertragen [11,12]. Auch gibt es schon seit längerer Zeit Ansätze in der Ernährung, ein spätes Essen möglichst zu vermeiden. Nicht jeder Mensch hat jedoch die Möglichkeiten dazu, allen voran Schichtarbeit und Bereitschaftsdienst als einige der problematischsten Beispiele. Vor allem unter stressreichen Situationen ohne regulären Schlaf, nach einem langen Flug oder während Phasen mit wechselnden Arbeitszeiten, sollte man vermutlich vorsichtig mit alkoholischen Getränken und entzündlichen Nahrungsmitteln sein. Selbst eigentlich als gesund geltende fermentierte Lebensmittel wie Kombucha oder Sauerkraut könnten so gewissen Zeitpunkten mehr Schaden anrichten, als helfen. Ein gesunder Darm braucht schließlich auch ein robustes Immunsystem und eine resistente Darmwand als absolutes Fundament.

Wenn man jedoch von einem ganzheitlichen System redet, sollte man auch weitere Einflüsse wie sicheres Umfeld, soziale Interaktionen und Entspannung beachten. Ganz zu schweigen von dem kontrovers diskutierten Thema der Darmdiversität. Möglicherweise mag ein spätes Lagerfeuer mit Musik und gegrilltem Essen mitten in der Nacht gegen jegliche hier dargestellte Datenlage sprechen. Unwohl fühlt sich dabei vermutlich dennoch niemand. Mit gutem Grund.

Quellenangabe:

  1. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4029760/
  2. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19287494/
  3. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17059692
  4. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4721637/
  5. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5220389/
  6. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4709092/
  7. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23716692/
  8. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19955445/
  9. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21673361
  10. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4507220/
  11. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2276424/
  12. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21673361