Darmgesundheit: Kaiserlich verschnitten?

Auf einen Blick

  • Unsere Bakterienbesiedelung und Darmgesundheit hängt von der Art der Geburt ab
  • Medikamente wie Antibiotika sollten vorsichtig verwendet bzw. gut überlegt werden – insbesondere während der Schwangerschaft
  • Ein Kaiserschnitt verändert das Mikrobiom und die Darmgesundheit unseres Kindes auf unnatürliche Weise
  • Eine „Fehlbesiedelung“ hat einen anhaltenden Effekt, der laut Studien über mehrere Jahre andauern kann
  • Eine natürliche Darmflora bei Geburt hat eine zentrale Funktion bei der gesunden Entwicklung des Immunsystems und einer stabilen Darmschleimhaut
  • Ein gestörtes Immunsystem kann zu einer beeinträchtigten Toleranz und aggressiven Immunantwort auf mögliche Pathogene (Schadstoffe) führen
  • Menschen mit einem gestörten Immunsystem können anfälliger sein für chronisch-entzündliche Prozesse und Autoimmunkrankheiten
Kaiserschnitt

Wie ein Kaiserschnitt das Mikrobiom des Kindes beeinflussen kann

Bakterien und andere Einflüsse in der Umwelt sind unser ständiger Begleiter – auch für heranwachsende Kinder im Bauch der Mutter.  Warum das Kind bereits im Mutterleib mit Bakterien zu kämpfen hat, wurde in diesem Beitrag erklärt. Bei der Geburt wird das Kind von bakteriellen Fremdkörpern umhüllt, bevor es auf die Welt kommt. Zwar fand schon im Vorhinein der erste Kontakt zwischen Bakterien und Baby statt, doch scheint eine reguläre Geburt ihren evolutionären und gesundheitlichen Sinn zu haben. Bekannt ist inzwischen, dass Neugeborene einer regulären Geburt hauptsächlich von Laktobazillen besiedelt werden. Auch wurde entdeckt, dass Mütter während der Schwangerschaft eine verringerte Diversität an Bakterien im Geburtenkanal entwickeln (vier Stämme werden dominant – Lactobacilli, Bacteroidales, Clostridiales und Actinomycetales) [1].

Das alleine sollte einen vermuten lassen, dass diese speziellen Bakterien wohl recht wichtig bei der Geburt sind. Nehmen wir die wohl inzwischen recht bekannten Laktobazillen als Beispiel. Unter anderem wird vermutet, dass Laktobazillen nicht nur für das Kind selbst hilfreich sein könnten, sondern dass eine Besiedlung mit Laktobazillen für einen niedrigen pH-Wert im Geburtenkanal sorgen und so potentiell pathogene Bakterien daran hindert, sich in Richtung Uterus auszubreiten und eine Gefahr für das Kind durch Infektionen zu minimieren [2,3]. Wie bei einem gegenseitigen Abkommen dürfen sich im Körper Laktobazillen ausbreiten, die dafür im Gegenzug das Kind ihres Wirts schützen und es bei der Geburt begleiten. Als wäre das nicht schon beeindruckend genug, sind Laktobazillen offensichtlich wichtig für das Kind, um nach der Geburt die Nährstoffe aus der Nahrung resorbieren zu können[4,5]. In der Regel gäbe es natürlich Muttermilch und nicht abgepackten Speisebrei. Muttermilch selbst hat ein großes Spektrum an unterschiedlichen Nährstoffen, die dem Kind helfen sich gesund zu entwickeln. Vorausgesetzt natürlich, die Mutter ist selbst ausreichend versorgt, dann sind Bestandteile wie Lactoferrin, Omega-3-Fettsäuren, Vitamin D und vieles mehr dabei in ihrer Muttermilch enthalten. Erst nach Einführung fester Nahrung bildet sich dann im Laufe der Zeit zusehends ein diverses  Mikrobiom [6]. Alles angepasst an das Umfeld des frischen Wirts, dem Baby. Ab diesem Zeitpunkt werden wir immer mehr, was wir essen. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen spielen viele verschiedene Bakterien in den frühen Momenten eines neuen Lebens ihre Rolle – dazu zählen unter anderem die Laktobazillen – die zu einer gesunden Entwicklung des Immunsystems mitsamt seiner notwendigen Toleranz beitragen [7].

Infants born via vaginal delivery have intestinal colonization reflective of maternal vaginal flora such as Lactobacillus and Prevotella species. Infants born via Cesarean delivery are colonized by epidermal rather than vaginal species, such as Clostridium, Staphylococcus, Propionobacteriumand Corynebacterium and they have a deficiency of anaerobes with lower numbers of Bacteroides and Bifidobacteriumwhen compared to vaginally born infants (1418). Thus, the mode of delivery appears to have an influence on the diversity and function of an infant’s microbiota, which can persists for months and, perhaps longer, after birth. Jakobsson et al. demonstrated that full-term infants delivered via Cesarean section lacked or displayed delayed gut colonization by members of the Bacteroidetes phylum by up to 1 year, with an overall lower total microbial diversity (19). Other studies have also shown persistent differences in intestinal microbial colonization between Cesarean-delivered and vaginally delivered children as far as 7 years of age (20).„ (Studie)

Beim Kaiserschnitt sind die Umstände völlig anders, da dieser Vorgang unter völlig sterilen Voraussetzungen passiert. Inzwischen werden viele Stimmen laut, dass ein Kaiserschnitt – insbesondere, wenn nicht zwingend notwendig – die Wahrscheinlichkeit erhöhen kann, dass das Kind im späteren Verlauf unter chronischen Krankheiten wie Asthma, Übergewicht, Diabetes etc. leiden kann [8]. Wird ein Kind auf diese Art auf die Welt gebracht, fehlt der Kontakt mit dem speziellen Mikrobiom der Mutter. Die bakterielle Besiedelung geschieht durch die Luft, die Haut der Hebammen und anderen Dingen, mit denen das Kind zu Beginn in Kontakt kommt. Das kann noch über Monate bis sogar Jahre die Darmgesundheit signifikant beeinflussen [9].

Inzwischen ist dieses Problem der Medizin bewusst und Kinder nach dem Kaiserschnitt werden mit einem Verfahren namens „mikrobiellem Transfer“ mithilfe eines Schwamms von oben bis unten mit dem vaginalen Mikrobiom der Mutter gewaschen. Tatsächlich scheint das Kind im Anschluss die gleiche Besiedelung im Körper zu besitzen wie Kinder durch eine reguläre Geburt. Also einfach Schwamm drüber und es reicht? Josef Neu, Neonatologe an der Universität Florida fürchtet, dass Mütter, die auf kaiserliche Abkürzung inklusive Schwamm ausweichen, möglicherweise ungewollt Infektionen auf das Kind übertragen könnten. Die Nachbehandlung frischgeborener Kinder via Mikrobenschwamm ist noch sehr neu und langfristige Konsequenzen sind bisher noch schwer abzusehen [8]. Nicht nur das Mikrobiom wird durch die Geburt beeinflusst. Druck, bei der Passage des Kindes durch den Geburtenkanal, sollte beispielsweise als weiterer Faktor nicht vernachlässigt werden (piezoelektrischer Effekt).

Warum ist die Besiedlung mit Starterkulturen der Mutter für das heranwachsende Kind so wichtig? Um diese Frage zu beantworten, muss kurz die Funktion von sogenannten Toll-like Rezeptoren (TLRs) erklärt werden. TLRs sind Teil des Immunsystems und damit natürlich auch direkt an der Darmwand zu finden. TLRs sind wichtig für eine physiologische Regulierung der Immunantwort und Toleranz von Bakterien. Erkennen TLRs einen Fremdkörper im Darm, triggern sie eine kontrollierte Immunantwort zur Analyse des Fremdkörpers. Hierbei werden Immunzellen wie Mastzellen und dendritische Zellen aktiv [10]. Im Anschluss werden entsprechende Signalmoleküle ausgeschüttet und eine Immunisierung des Körpers auf den unbekannten Eindringling findet statt. TLRs sind damit ein wichtiger Bestandteil eines funktionierenden und toleranten Immunsystems der Darmwand.

Was hat dies aber mit dem kindlichen Mikrobiom und seiner Darmgesundheit zu tun? Das  intestinale Mikrobiom des Darmes, insbesondere bei frischgeborenen Kindern, spielt eine tragende Rolle in der frühen Entwicklung des Immunsystems der Darmschleimhaut. Dieser Aufgabe gehen sie sogar bis ins hohe Alter nach. Darmbakterien stimulieren das Lymphsystem der Darmschleimhaut dazu, Antikörper für potentielle Pathogene zu produzieren. Die “Old Friend“ Hypothese beschreibt hierbei die evolutionäre Ko-Evolution und Synergie zwischen der Darmwand, seinem Immunsystem und den im Lumen lebenden Bakterien. Während das eigene Mikrobiom das Immunsystem unterstützt, eliminiert unser Verteidigungssystem potentiell „böse“ Bakterien und erhält/toleriert seine eigenen Mitbewohner.

Diese gegenseitige Unterstützung entwickelt sich während der Kindheit und wird als zentraler Faktor für die Entwicklung einer guten Darmgesundheit gesehen [11]. Kann unser Körper kontrolliert neue Fremdkörper verarbeiten, stehen wir langfristig mit einer hohen Wahrscheinlichkeit nicht vor der Gefahr, Autoimmunerkrankungen zu entwickeln und sind besser vor chronischer Entzündung geschützt.

schwere Geburt

Frisch geborene Babys werden direkt bei der Geburt mit einer unbeschreiblichen Masse an Bakterien durch die Umgebung bombardiert. Während für gewöhnlich das Mikrobiom der Mutter für das Kind ein guter Start zu sein scheint, ist die bakterielle Umgebung, insbesondere in Krankenhäusern, gerne mal ein russisches Roulette [11]. Dazu kommt noch, dass häufig bei einem Kaiserschnitt ein breites Spektrum an Antibiotika verwendet wird, was die Darmvielfalt des Mikrobioms der Mutter und des Kindes weiter reduzieren kann und im Verdacht steht, bei Kindern eine nekrotisierende Enterokolitis auszulösen [12,13]. Studien in Mäusen zeigen, dass die bakterielle Besiedlung des Darmes vor allem nach der Geburt einen signifikanten Einfluss auf die Entwicklung des Immunsystems via Interaktionen mit den gastrointestinalen TLRs [14] besitzt. Unterschiedliche Bakterienstämme haben dabei unterschiedliche positive oder negative Wirkungen auf die Intaktheit der Darmwand, der Leistungsfähigkeit des Immunsystems, aber auch der Verarbeitung von Nährstoffen. Bis jetzt wurde beispielsweise festgestellt, dass anscheinend Bacteroidetes fragilis für die Entwicklung regulierender T-Zellen verantwortlich sind. T-Zellen sind unter anderem wichtig für die Unterdrückung entzündlicher Signalwirkungen verschiedener Zytokine [15].

„These studies also show that PSA (polysaccharide A) is not only able to prevent, but also cure experimental colitis in animals and therefore demonstrate that B. fragilis Treg lineage differentiation pathway in the gut to actively induce mucosal tolerance.29“ [Studie]

Wir können nicht behaupten, dass wir genau wissen, welche Bakterien „gut oder schlecht“ sind. Veränderungen einer natürlichen Norm sollten uns jedoch aufmerksam machen. So wurden in einer Studie nachgewiesen, dass nach einem Kaiserschnitt die Darmgesundheit des Kindes für 6 Monate noch beeinträchtigt war, obwohl das Kind auf reguläre Art und Weise gestillt wurde [16]. Eine andere Studie zeigte sogar einen Einfluss über bis zu 7 Jahren nach Geburt [9]. Welche Auswirkungen diese Abweichungen von der Norm besitzen, ist noch schwer zu sagen. Der Ansatz, dass die natürliche Besiedlung der Darmflora des Kindes jedoch abgestimmt ist auf unsere gesunde Entwicklung, wäre nachvollziehbar und würde in das Bild einer sehr durchdachten und noch nicht gänzlich erforschten Welt (Natur, Tier und Mensch) passen [17,18,19,20].

Quellenangabe:

  1. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3110651/
  2. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22719832/
  3. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/10816189/
  4. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25148517/
  5. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23535917/
  6. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4350424/
  7. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4464665/
  8. http://www.nature.com/news/scientists-swab-c-section-babies-with-mothers-microbes-1.19275
  9. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/15306608/
  10. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19026645/
  11. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20415854/
  12. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/15168141/
  13. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19117861/
  14. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19369970/
  15. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20639773/
  16. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20566854/
  17. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/9890463/
  18. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/15007630/
  19. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/14998382/
  20. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/12897751/