Gut-Brain-Axis: Wie dein Darm sich auf deine Stimmung und dein Wohlbefinden auswirkt

Wie dein Darm sich auf deine Stimmung und dein Wohlbefinden auswirkt

Der Darm: Das zweite Gehirn?

Wenn wir sagen, etwas schlägt uns auf den Magen oder wir entscheiden „aus dem Bauch heraus“, greifen wir unbewusst auf eine Erkenntnis zurück, die heute durch die moderne Wissenschaft zunehmend bestätigt wird. Der Darm ist nicht nur ein Ort der Verdauung: Er kommuniziert mit unserem Gehirn und beeinflusst unsere psychische Verfassung.

Dieses hochkomplexe Zusammenspiel zwischen Verdauungstrakt und Nervensystem wird als Darm-Hirn-Achse (englisch: Gut-Brain Axis) bezeichnet. Was früher als esoterische Idee abgetan wurde, ist heute Gegenstand seriöser Forschung in der Neurowissenschaft, Mikrobiologie und Psychosomatik.

Doch wie genau funktioniert diese Verbindung zwischen Bauch und Kopf? Und wie können wir sie gezielt unterstützen?

Was ist die Darm-Hirn-Achse?

Die Darm-Hirn-Achse beschreibt das bidirektionale Kommunikationssystem zwischen dem zentralen Nervensystem (ZNS), also dem Gehirn und Rückenmark, und dem enterischen Nervensystem (ENS), dem Darm, auch als „zweites Gehirn“ bezeichnet. Diese Achse sorgt dafür, dass Informationen zwischen Gehirn und Darm ständig hin- und herfliessen, und zwar über mehrere parallele Signalwege. Die wichtigsten dieser Signalwege sind:

Neuronale Kommunikation: Das ENS und Der faszinierende Vagusnerv

Im Zentrum der Kommunikation zwischen Gehirn und inneren Organen steht der Vagusnerv, der wichtigste Nerv des parasympathischen Nervensystems. Er verbindet das zentrale Nervensystem mit dem enterischen Nervensystem. Das enterische Nervensystem ist ein eigenständiges Nervensystem mit über 100 Millionen Nervenzellen, eingebettet in der Wand des Magen-Darm-Trakts. Es steuert viele Verdauungsprozesse autonom, arbeitet jedoch eng mit dem Gehirn zusammen, wobei der Vagusnerv eine zentrale Rolle spielt. (1)Der Vagusnerv wirkt wie eine Datenautobahn. Etwa 80 Prozent seiner Fasern übertragen Informationen vom Darm zum Gehirn, nicht umgekehrt. Diese Signale beinhalten zum Beispiel den Füllstand des Magens, entzündliche Prozesse oder die Aktivität der Darmmikrobiota. So entsteht eine ständige bidirektionale Kommunikation zwischen Körper und Geist. (1)(2)

Wissenschaftliche Studien zeigen, dass der Vagusnerv eine Schlüsselrolle bei der Wirkung von Entspannungs- und Achtsamkeitstechniken spielt. Durch langsames, tiefes Atmen, Meditation oder andere Entspannungsübungen kann der Vagusnerv gezielt stimuliert werden. Dies führt nachweislich zu beruhigenden, stressreduzierenden und entzündungshemmenden Effekten. In der Forschung gilt der Vagusnerv daher als zentrale Erklärung dafür, wie und warum diese Techniken im Körper wirken. (3)

Zusammengefasst ist der Vagusnerv die biologische Schnittstelle zwischen Bauch und Gehirn und bildet das neurologische Fundament vieler moderner Entspannungsmethoden.

Endokrine Kommunikation: Hormone als Botenstoffe zwischen Darm und Gehirn

Der Darm gehört zu den größten hormonproduzierenden Organen des Körpers. Spezialisierte enteroendokrine Zellen in der Darmschleimhaut reagieren auf Nahrungsbestandteile sowie auf Stoffwechselprodukte der Darmbakterien und setzen in Folge verschiedene Hormone frei, die direkt auf das Gehirn einwirken können. So fördert etwa das Hormon Ghrelin das Hungergefühl und aktiviert gleichzeitig das Belohnungssystem im Gehirn. Andere Hormone wie GLP-1 und Peptid YY senden Sättigungssignale und tragen zur Regulierung der Nahrungsaufnahme bei. Auch Cortisol, das in Stresssituationen ausgeschüttet wird, spielt eine wichtige Rolle, da es sowohl das zentrale Nervensystem als auch die Schutzfunktion der Darmbarriere beeinflussen kann. Diese hormonellen Signale wirken auf Gehirnregionen, die an der Steuerung von Stimmung, Stressverarbeitung und Essverhalten beteiligt sind, und verdeutlichen damit die enge Verbindung zwischen Darm, Hormonhaushalt und psychischer Verfassung. (4)(5)

Immunologische Kommunikation: Die Sprache der Entzündungsboten

Ein Grossteil unseres Immunsystems, etwa 70 Prozent, ist im Darm lokalisiert, genauer gesagt im sogenannten GALT, dem darmassoziierten lymphatischen Gewebe. Dieses immunologische Netzwerk reagiert sensibel auf bakterielle Veränderungen, Reizungen oder potenzielle Krankheitserreger. In solchen Fällen werden entzündungsregulierende Botenstoffe, sogenannte Zytokine, freigesetzt. Diese beeinflussen nicht nur lokale Immunprozesse, sondern können auch über das Blut bis ins Gehirn gelangen und dort ihre Wirkung entfalten. Besonders bei chronischen Entzündungen im Darm wird vermutet, dass sie zur Entstehung oder Aufrechterhaltung psychischer Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen beitragen können. Dieser Zusammenhang wird in der modernen Medizin und Neurowissenschaft zunehmend intensiv erforscht. (6)(7)

Mikrobiota-gesteuerte Kommunikation: Die Rolle der Darmflora

Ein besonders faszinierender Akteur innerhalb der Darm-Hirn-Achse ist die Darmmikrobiota, also die Vielzahl an Mikroorganismen, die den menschlichen Darm besiedeln. Diese Mikroben produzieren eine breite Palette neuroaktiver Substanzen, darunter Serotonin, von dem etwa 90 Prozent im Darm gebildet werden, sowie Neurotransmitter wie GABA und Dopamin. Auch kurzkettige Fettsäuren wie Butyrat gehören zu den von der Mikrobiota erzeugten Stoffen. Sie wirken entzündungshemmend und können das Nervensystem positiv beeinflussen. Inzwischen gilt ein Ungleichgewicht im Mikrobiom, auch Dysbiose genannt, als möglicher Mitverursacher verschiedenster Erkrankungen. Dazu zählen funktionelle Magen-Darm-Störungen wie das Reizdarmsyndrom ebenso wie psychische Erkrankungen, etwa Depressionen, sowie neurodegenerative Erkrankungen wie Parkinson. (8)(9)

Zusammenfassung der Signalwege

Signalweg Signale Richtung Funktion
Neuronal Vagusnerv Bidirektional Sinneswahrnehumung, Verdauung, Stressreaktion
Endokrin Ghrelin, GLP-1, Cortisol Bidirektional Appetit, Sättigung, Stressreaktion
Immunologisch Zytokine, Immunzellen Bidirektional Entzündung, Abwehr
Mikrobiell SCFAs, GABA, Serotonin, Dopamin Meist von Darm –> Gehirn Stimmung, Kognition, Immunomodulation

Warum ist das relevant?

Wie wir aus diesem Artikel lesen können, ist der Darm ein unglaublich vielfältiges und komplexes Organ. Störungen in der Darm-Hirn-Achse betreffen nicht nur die Verdauung, sondern können auch das psychische Gleichgewicht aus dem Takt bringen. Beschwerden wie Angst, depressive Verstimmungen oder chronischer Stress stehen zunehmend im Zusammenhang mit einem gestörten Mikrobiom, einer geschwächten Darmbarriere oder chronischen Entzündungsprozessen im Verdauungstrakt.
Die Erkenntnis, dass die Gesundheit des Darms eng mit der seelischen Verfassung verbunden ist, eröffnet neue therapeutische Möglichkeiten. Dazu zählen der gezielte Einsatz von Pro- und Präbiotika, und eine ballaststoffreiche Ernährung, die gezielt auf die Zusammensetzung der Darmflora wirken. Ebenso zeigen sich deutliche positive Effekte durch Entspannungspraktiken wie langsames, bewusstes Atmen, Meditation, Achtsamkeitstraining und andere stressregulierende Methoden. Diese fördern nicht nur die vagale Aktivität, sondern wirken auch entzündungshemmend und stabilisierend auf das gesamte Darm-Hirn-System.

Fazit: Gesundheit beginnt im Bauch

Unser Darm steht in ständigem Austausch mit dem Gehirn – über den Vagusnerv, Hormone, das Immunsystem und die Darmflora. Störungen im Darm können daher auch unser seelisches Wohl beeinflussen. Mit Atemübungen, Meditation, einer bewussten Ernährung und gezielter Pflege der Darmflora können wir Körper und Geist wirkungsvoll unterstützen. Diese Erkenntnisse eröffnen spannende neue Perspektiven für Gesundheit und Therapie!

Literaturhinweis

  1. Sharkey, K. A., & Mawe, G. M. (2023). The enteric nervous system. Nature Reviews Gastroenterology & Hepatology. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/36521049/
  2. Breit, S., Kupferberg, A., Rogler, G., & Hasler, G. (2018). Vagus nerve as modulator of the brain-gut axis in psychiatric and inflammatory disorders. Frontiers in Psychiatry. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/29593576/
  3. Tisdell, E. J., Lukic, B., Banerjee, R., Liao, D., & Palmer, C. (2023). The effects of heart rhythm meditation on vagal tone and well-being: A mixed methods research study. Journal of Integrative Neuroscience. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/38605265/
  4. Cho, H., & Lim, J. (2023). The emerging role of gut hormones. Endocrinology and Metabolism. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/39426686/
  5. Verma, A., Inslicht, S. S., & Bhargava, A. (2024). Gut-brain axis: Role of microbiome, metabolomics, hormones, and stress in mental health disorders. Cells. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/39273008/
  6. Abo-Shaban, T., Sharna, S. S., Hosie, S., Lee, C. Y. Q., Balasuriya, G. K., McKeown, S. J., Franks, A. E., & Hill-Yardin, E. L. (2023). Issues for patchy tissues: Defining roles for gut-associated lymphoid tissue in neurodevelopment and disease. Brain, Behavior, and Immunity. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/36309872/
  7. Steffen, J., Focken, N., & Çalışkan, G. (2024). Recognizing depression as an inflammatory disease: The search for endotypes. American Journal of Physiology-Cell Physiology. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/38826138/
  8. Loh, J. S., Mak, W. Q., Tan, L. K. S., Ng, C. X., Chan, H. H., Yeow, S. H., Foo, J. B., Ong, Y. S., How, C. W., & Khaw, K. Y. (2023). Microbiota-gut-brain axis and its therapeutic applications in neurodegenerative diseases. Frontiers in Neuroscience. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/38360862/
  9. Majumdar, A., Venkatesh, I. P. S., & Basu, A. (2023). Short-chain fatty acids in the microbiota-gut-brain axis: Role in neurodegenerative disorders and viral infections. ACS Chemical Neuroscience. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/36868874/